Das war meine zweite Sprachlosigkeit

“Deutsch statt ’Nix versteh’n.” Das war ein Wahlthema von FPÖ. Alle Ausländer, die hier leben wollen, sollen natürlich Deutsch lernen. Aber für diese Partei ist das nicht genug. Die Politiker, die diese Partei leiten glauben so: Die multikulturelle Gesellschaft ist eine Illusion! Und sie meinen, in jeder Gesellschaft gibt es eine “Leitkultur”.

In Österreich lebende Ausländer müssen nicht nur Deutsch lernen, sondern die “Leitkultur” von dieser Gesellschaft anerkennen. Diese PolitikerInnen wollen nötigenfalls auch mit Druck auf die in Österreich lebenden Ausländer deren ‘Integration’ verbessern. Wer diese Leitkultur ablehnt, für den ist in diesem Land kein Platz.

Diese Debatte ist für mich wie ein schlechter und zu oft wiederholter Film. Das war schon meine zweite Sprachlosigkeit. Wie das? Seit meiner Aufnahme in das öffentliche Schulwesen, dem Beginn meiner Pflichtschulzeit, war ich sieben Jahre gezwungen, meine Muttersprache -heißt Zazaki/Kirmanci- beiseite zu legen. Wie man schon weiß, alle  Kinder sollen und wollen ihre Muttersprache. Aber leider, in meiner ganzen Schullaufbahn -von der Volksschule bis zur Uni-  war meine Muttersprache verboten. Ich ging in die Schule wie ein sprachloser Mensch.

Die Debatte über eine Leitkultur oder Leitnation wird in der Türkei schon länger (ca. 100 Jahren) geführt. Darum habe ich vor 22 Jahren mein Land -die Türkei- verlassen müssen.

Mein Ziel war es immer als Journalist und Autor tätig zu sein. In Istanbul hatte ich zwölf Jahre lang (von 1986 bis 1998) als Journalist gearbeitet. Außerdem hatte ich in dieser Zeit sechs Bücher geschrieben und herausgegeben: Drei Romane, zwei Tatsachenberichte und ein Gedichtband.

Dann war ich in Österreich ein Asylant und Heimatloser. Plötzlich war ich hier sprachlos! Man spricht hier eine ganz andere Sprache. Das ist für mich eine sehr schlechte Situation. Manchmal verliere ich mich. Und manchmal fühle ich mich als ein ganz unglücklicher Mensch der Völkerwanderung. Weil das Schreiben war für mich gleichbedeutend mit dem Leben. Ohne Schreiben war ich, wie eine falsch eingestellte Uhr.

Als ich in dieses Land kam, war ich wieder sprachlos und das war meine zweite Sprachlosigkeit. Früher dachte ich so: Ich werde vielleicht als ein Heimatloser sterben!

“Jetzt habe ich schon eine neue oder zweite Heimat”, sage ich. Und ich will nie wieder sprachlos werden. Nie! Heute schreibe ich in Österreich auch weiter. Mein erstes Buch auf Deutsch war ein Gedichtband und es kam im 2009 heraus. Darin befindet sich die Sammlung aller in Österreich verfassten Gedichte. Das neueste und dritte Buch auf Deutsch ist ein Roman. Es kam 2018 heraus.

In letzten zehn Jahren schreibe ich nicht nur in türkischer Sprache und alle meine Bücher wurden nicht nur in der Türkei herausgegeben. Ich bin seit zwölf Jahren österreichischer Staatsbürger und dreisprachiger Schriftsteller.

huseyin.simsek@gmx.at